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Rede zur CSD-Parade von Seona & Marion

Seona:

Vor gut einem Jahr saß ich mit einer Freundin in einer bekannten Bielefelder Schwulen- und Lesbenkneipe. Wir beide hatten das Gefühl, daß etwas Neues in unser Leben treten muß. Wir schauten uns um und hatten den gleichen Gedanken: Was lag näher, als sich mit dem Schwulen, dem bis dahin völlig unbekannten Wesen zu beschäftigen?

Da wir nach einem Vorwand suchten, um sie anzusprechen, war fünf Minuten später die Idee des CSD geboren.

 

Marion:

Ein paar Wochen später erzählten mir die beiden von der neuen Gruppe und fragten mich, ob ich nicht mitmachen wolle. Spontan sagte ich zu. Dann wurde es ernst. Mein erstes Gruppentreffen rückte näher. Ich wurde unsicherer. Ich fragte mich: Worauf habe ich mich da bloß eingelassen? Es werden Männer - wenn auch Schwule da sein, mit denen ich diskutieren will. Wie stelle ich mich in diesem Rahmen als Lesbe dar? Was macht mein Lesbischsein überhaupt aus? Gibt es Gemeinsamkeiten zwischen Lesben und Schwulen, und können wir den CSD gemeinsam organisieren? Und last, but not least: Wie reagieren die anderen Lesben, wenn sie erfahren, daß ich in einer schwul-lesbischen Gruppe mitarbeite?

 

Seona:

Um eben diese Reaktionen herauszufinden, habe ich in den ersten Monaten immer wieder das Gespräch mit Bielefelder Frauen- und Lesbeneinrichtungen gesucht. In einem bekannten Bielefelder Frauenzentrum haben wir sogar eine Diskussionsveranstaltung zur Frage, ob Lesben mit Schwulen zusammenarbeiten können und wollen, angeboten. Denn von Anfang an habe ich mich nicht als Einzelkämpferin gesehen und wollte keiner etwas aufdrücken. Ich habe auf Kritik und Anregungen gehofft und hätte das Thema der schwulesbischen Zusammenarbeit als politisches Thema fallengelassen, wenn ich massiven Widerstand gekriegt hätte.

Doch die Reaktionen widersprachen jeglicher Erwartung. Ich lief weder in offene Arme, noch vor Mauern, sondern ins Nichts.

Mit anderen Worten, mir begegnete pure Ignoranz. Bin ich zur schwulen Lesbe und Verräterin geworden, die frau jetzt genauso behandelt wie einen Mann? Warum ist ein Jahr lang keine persönliche und direkte Auseinandersetzung erfolgt? Warum mußte das erste Streitgespräch gleich öffentlich bei einer bekannten Bielefelder Lokalzeitung stattfinden?

 

Marion:

Wenn dann doch einmal eine Reaktion kam, war es häufig die Ermahnung: "Laßt euch von den Schwulen bloß nicht über den Tisch ziehen!" Ich hatte dabei das Gefühl, ich werde als Lesbe und erwachsene Frau nicht mehr für voll genommen und bevormundet, nur weil ich in einer gemischten Gruppe gemeinsam an einem Projekt arbeiten möchte. Warum sollte ich in einer gemischten Gruppe meine mühsam erarbeitete Selbstständigkeit wieder verlieren?

Bei einer anderen aus unserer Gruppe ging die Ausgrenzung so weit, daß von einigen Lesben ihre lesbische Identität in Frage gestellt wurde.

 

Seona:

Nach einem Jahr stehen wir jetzt hier und halten unsere Rede für unseren CSD. Hinter uns steht eine Gruppe, die viel Spaß miteinander hat, in der sich persönliche Freundschaften ergeben haben und die dieses gemeinsame Projekt auf die Beine gestellt hat.

 

Marion:

Im Rahmen vieler, zum Teil auch heftiger Diskussionen haben wir viel voneinander und miteinander gelernt und neue Impulse erhalten. Dies hat auch zu neuen Gedanken und zu einer Stärkung unserer eigenen lesbischen Identität geführt.

 

Seona:

Für uns steht fest, daß dieser Tag nicht das Ende einer langen Vorbereitung ist, sondern erst der Beginn einer neuen kreativen und produktiven Auseinandersetzung zwischen Lesben und Schwulen.

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