Interview im "StadtBlatt"
01.06.1994
Just for fun versus feministische Kampferprobtheit?
Ein Streitgepräch über Grenzen und Möglichkeiten schwul-lesbischer Zusammenarbeit.
StadtBlatt:
Seona, du bist eine der Initiatorinnen der schwul-lesbischen Aktionsgruppe - warum?
Seona:
In der Schwulen- und Lesbenkneipe Magnus ist mir aufgefallen, daß ich überhaupt keine Schwulen kenne. Ich war einfach neugierig auf Schwule; immerhin eint uns ja das gemeinsame Merkmal der Homosexualität.
StadtBlatt:
Und was interessiert dich als Schwuler an Lesben?
Oliver:
Ich war zunächst auch neugierig, die Szenen waren sehr abgeschottet voneinander.
Schwule und Lesben haben viele Forderungen gemeinsam, sei es das Antidiskriminierungsgesetz, sei es Aids. Und wenn man zusammen auftritt, ist man wesentlich stärker. Viele Probleme, die Lesben haben, haben Schwule auch.
StadtBlatt:
Erschöpft sich die Gemeinsamkeit in gesellschaftlicher Diskriminierung? Was bedeutet Homosexualität als gemeinsames Merkmal?
Annette:
Für mich existiert die Gemeinsamkeit Homosexualität nicht, das bezieht sich lediglich darauf, daß wir eine Minderheit sind. Ich würde mich selbst auch nicht als homosexuell bezeichnen. Ich bin lesbisch, und Lesbischsein hat für mich nicht ausschließlich mit Sexualität zu tun,
sondern vor allem auch mit einer Lebensperspektive. Ich komme aus der Frauenbewegung und bei sehr vielen Themen fühle ich mich Frauen verbundener als Schwulen. Ich kann mit Frauen eher Grenzen auflösen, was mit Männern nicht gelingt, und ich möchte mich auch über bestimmte Inhalte nicht permanent mit dem anderen Geschlecht auseinandersetzen. Schwule Männer sind da, glaube ich, nicht anders als Hetero-Männer.
Oliver:
Vielleicht sind das Vorurteile. Was hast du denn für Erfahrungen mit Schwulen gemacht?
Annette:
Was heißt Erfahrungen? Guck dir doch das Frauenbild vieler schwuler Männer an – blondgelockt und kreischig. Im Magnus sitzen alle vor den Golden Girls, was ja eine sehr sexistische Serie ist, die Klischees verbrät, gegen die wir in der Frauenbewegung jahrelang gekämpft haben.
Oliver:
Auch unter Schwulen gibt es solche und solche. Wenn auf Schwulenpartys eine – ich sag mal Fummeltriene – rumläuft, dann ist das doch nicht sexistisch gemeint, sondern eher als Veralberung der Heterowelt.
StadtBlatt:
Gibt es feministische Schwule?
Seona:
Ich halte nichts von solchen Kategorien. Frauenfeindlichkeit ist mir in der Schwulenszene durchaus aufgefallen, aber in der Lesbenszene auch, und in der Heterowelt sowieso. Mir war bei der Gründung der schwul-lesbischen Aktionsgruppe wichtig, herauszufinden, ob ich nicht auch mit Schwulen befreundet sein kann und ob das nicht sogar spannend ist. Heute weiß ich, daß die Freundschaft zu Schwulen eine Bereicherung für mich ist. Und die Schwulen in unserer Gruppe, die eine straff organisierte, patriarchale Organisation wollten, haben wir rausgeschmissen, daran waren nicht nur Lesben beteiligt, sondern auch andere Schwule.
StadtBlatt:
Welche thematischen und inhaltlichen Gemeinsamkeiten haben Schwule und Lesben als soziale Bewegung?
Annette:
Vor ungefähr zehn Jahren gab es in Bielefeld eine Diskussion wegen der Abschaffung des § 175. Frauen sagen zwar nicht, daß ein 21-jähriger Schwuler nicht mit einem 16-jährigen zusammensein darf, aber Sex mit Minderjährigen und sexueller Mißbrauch ist für Frauen aufgrund ihres Hintergrunds ein völlig anderes Thema als für Manner. Und an dieser Frage haben sich damals Schwule und Lesben in Bielefeld gespalten. Irgendwann gab es wieder Berührungspunkte über gemeinsame Partys, aber das war eher just for fun. Ist ja auch in Ordnung, aber ich glaube, wenn die Zusammenarbeit wieder inhaltlich wird, wird es schwierig.
StadtBlatt:
Feministinnen kämpfen gegen sexistische Strukturen, fordern gleichen Lohn für gleiche Arbeit, wollen den § 218 abschaffen. Welche Ziele verfolgt die schwul-lesbische Aktionsgruppe?
Oliver:
Wir wollen was für Schwule und Lesben in Bielefeld tun. Der CSD soll dazu da sein, Präsenz zu zeigen. Darüber hinaus machen wir aber auch Politik gegen Gewalt und gegen Kürzungen im schwul-lesbischen Projektebereich.
StadtBlatt:
Was spricht gegen schwul-lesbische Aktionen just for fun?
Stefanie:
Wir begegnen im Moment einem Rechtsruck und einem starken Druck auf soziale Bewegungen, vor allem auf die Frauen- und Lesbenbewegung. Überall wird versucht, die Geschlechterfrage durch alle möglichen modernen Diskurse ad absurdum zu führen; es wird so getan, als wäre sie nicht mehr relevant. Ich habe den Eindruck, daß mit der Kategorie „Homosexualität als sexuelle Abweichung“ die Geschlechterfrage in den Hintergrund tritt. Der gemeinsame Referenzpunkt ist jetzt die sexuelle Abweichung, nicht mehr die Unterdrückung von Frauen. Heute erscheint es doch antiquiert oder zumindest unchic, das leidige Thema der Diskriminierung von Frauen auf den Tisch zu bringen und damit auch wahrzunehmen, daß es unglaublich eklatante Unterschiede zwischen Männern und Frauen gibt, auch zwischen Lesben und Schwulen. Dieses Bewußtsein impliziert ja auch ein anderes Politikverständnis. Die Frauenbewegung ist wesentlich weiter und kampferprobter.
StadtBlatt:
Es wollen offensichtlich viele Frauen dem häufig beklagten Konformitätsdruck der Lesbenszene entfliehen. Sind schwule Zusammenhänge sozial attraktiver?
Oliver:
Ich habe das Gefühl, daß es unter Schwulen lockerer zugeht. Es gibt eine größere Bandbreite an Themen.
Stefanie:
Der Innenraum oder das Ghetto ist für Lesben anders gestaltet als für Schwule. Fakt bleibt: Schwule Männer sind in erster Linie Männer, die an vielen Stellen von den gesellschaftlichen Privilegien profitieren. Je mehr ich profitiere von der Hauptkultur einer Gesellschaft, desto weniger bin ich auf die Nischen innerhalb meiner Subkultur angewiesen und das bedeutet für die lesbische Subkultur natürlich, daß es eng wird. Je enger es wird, desto knapper werden die Ressourcen, und umso mehr Konflikte gibt es. Es kommt also darauf an, wie sich unter gegebenen Machtverhältnissen subkulturelle Räume gestalten.
Interview: Christa Müller